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Warum ich nicht mehr geschrieben habe

El Lukijanov • Jan 14, 2024

Körper, Freiheit, Sein

Trans zu sein, bedeutete letztes Jahr für mich unbezahlt und zu jeder Zeit daran zu arbeiten, zu meinem Recht zu kommen: sein zu dürfen was ich bin. In künstlerischen Berufen sind wir unter- bis unbezahlte Arbeit gewöhnt, unsere Identität unterfüttern wir mit unserer unablässigen Leidenschaft zur Ausdrucksfreiheit, wir leben für den frischen Blick und warten nicht auf Zertifikate — wir machen, empfinden, machen, so zuversichtlich es eben geht. Wir zahlen dafür mit Zukunftsangst, Abhängigkeit von reichen Personen und Institutionen, deren Meinungen wir oft nicht teilen, manchmal mit der rohen Bitte an Freund*innen und wohlgesonnene Kolleg*innen um anerkennende Unterstützung, ein bisschen weiter arbeiten zu dürfen, in der Hoffnung auf monetäre Anerkennung.


Als trans Person arbeite ich mich unbezahlt ab am Gesundheitssystem, an meinen Angehörigen, Kolleg*innen, Vorgesetzten, ich tariere aus, wie ich vor wem gegendert werden will, während Gesetze sich ändern und fast ausschließlich cis Personen über unsere Existenzberechtigung öffentlich in Talkshows, politischen Ämtern und Zeitungen diskutieren. Ich verlor immer wieder Menschen, von denen ich dachte, sie würden mir zur Seite stehen. Auch um mein privates Geld wurde ich gebracht, weil es zu wenig Gesundheitsversorgung und -aufklärung gab. Irgendwann begrüßte mein Bewusstsein mich jeden Morgen mit dem Vorwurf, schon wieder aufgewacht zu sein, als wäre jeder Tag zu leben einer zu viel gewesen. Die Situation setzte mich also soweit unter Druck, dass ich irgendwann selbst so weit war, mir meine Existenz vorzuwerfen. Suizidalität ist für trans Personen eine reale Gefahr. Auch meine Aufklärung über diesen Umstand konnte mich emotional nicht darauf vorbereiten, wie sich Diskriminierung, Ablehnung, Einsamkeit und das Gefühl bedroht zu sein auf meinen Lebenswillen auswirken würde, zumal ich dachte, weitaus schlimmeres überstanden zu haben. 

Mittlerweile habe ich versucht mich an diese neue Realität zu gewöhnen, nicht zu wissen, wer mir welche Aspekte meines Transseins als nächstes absprechen wird, in welcher Toilette ich wieder bedroht werde, wer mich als nächstes im öffentlichen Raum beleidigt, wer mir Zugänge verwehrt, sich Regeln ausdenkt um mir den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu erschweren. Ich versuche mich darauf vorzubereiten und erwarte von den Menschen die noch an meiner Seite sind, mich nicht allein zu lassen, wenn Termine bevorstehen, die für cis Personen keine Probleme darstellen, wie eine öffentliche Toilette aufsuchen, abends sicher zu Hause ankommen in Gegenden, die für weiße hetero-cis Personen kein Sicherheitsrisiko darstellen.


Meine künstlerische Identität wiegt für mich schwerer als eine andere imaginierte Berufswahl. Oft befand ich mich in der Situation, meine künstlerische Integrität gegen gesellschaftliche Systeme schützen zu müssen, ob es in Krankheitsphasen war vor Ärzt*innen, die diesen Lebensschwerpunkt mit einem Hobby verwechselten und sich deshalb in diese Lebensbereiche übergriffig und uninformiert einmischten, während bestimmter künstlerischer Projekte, in denen Originalität, Aneignung und Zuständigkeiten vertauscht wurden, Arbeitsvermittlungen in staatlichen Institutionen, die dieser Arbeit jegliche Wertigkeit absprachen, in Privatheit, wo es die Unterstützung braucht oder wenigstens einen Raum, der nicht behindert, in dem Beziehungspersonen sich von dieser Lebensrealität bedroht fühlten oder Freund*inschaften ein Ultimatum formulierten. Es gibt also Scheidewege, Auslenkungen die ich bewusst traf um weiterhin künstlerisch tätig zu sein oder mir eine möglichst günstige Umgebung für meine berufliche Realität zu schaffen. Hier von Identität zu sprechen finde ich mehr als angemessen. 


Geschlechtliche Identität scheint aber anderen Regeln zu folgen. Während ich bewusste Entscheidungen treffen musste, um mir ein künstlerisch unterstützendes Umfeld zu basteln, das mich erst dazu befähigt künstlerisch aktiv zu sein, besteht meine geschlechtliche Identität mit oder ohne Unterstützung; es braucht nicht einmal ein inneres Coming Out für die Existenz meiner Geschlechtsidentität. Ich kann es  sein und es mir gleichzeitig absprechen, es leugnen, das Wissen darum  betäuben, mich so sehr dafür bestrafen, bis ich aufhöre mir selbst zu glauben. Bei alldem bleibt es dabei: kein anderer Mensch kann die Frage nach meinem Geschlecht für mich beantworten: Andere können mich zwar in die Situation versetzen diesen Teil meiner Identität vernichten zu wollen, jede Einflussnahme der Mitmenschen erfährt bei der Frage von Geschlechtsidentität jedoch eine harte logische Grenze.


Möglicherweise legen trans Personen ungewollt mit dieser Tatsache den Finger präzise auf eine bisher noch wenig erkannte Wunde: unsere Gesellschaft, deren einziges funktionierendes Heilsversprechen Aufstieg ist, scheint doch viel abhängiger zu sein von Unterwerfung und Kontrolle, als wir es uns bisher eingestanden haben, trotz unseres Demokratieanspruchs, der scheinbaren Einigung auf Menschenrechte, einem universellen Nachdenken über Leben und Leidensfähigkeit. Die faktische gesellschaftliche Machtlosigkeit über die Geschlechtsidentität eines Individuums kann eine Erklärung für diese Vehemenz sein, mit der das Existenzrecht von trans Personen immer wieder, schamlos und öffentlich, zum Diskussionsgegenstand erklärt wird:

Wir, trans Personen, verkörpern die unauslöschliche Erinnerung an eine kollektive, gescheiterte moralische Eitelkeit.


River Butcher sagt in seiner Standup Performance Somebody’s Boyfriend  “If you don’t know, what a cisgender person is — you’re it! […] It’s really easy to remember.” 


Geschlechtliche Identität existiert unabhängig von Performance, egal was ich wem in welchem Moment vormache, wir leben in einem System, in dem die Geschlechtszuweisung bei Geburt den meisten Menschen keinen Schaden zufügt, auch wenn die daraus abgeleiteten sozialen Rollen sowohl cis als auch trans Personen viel Leid verursachen. Was wollen trans Personen? In Ruhe das Geschlecht sein dürfen, das sie sind, wie cis Personen auch, egal wer oder was sie außerdem noch sind. Es ist nicht wichtig, dass cis Personen eine Meinung zu trans Personen haben. Es ist okay, keine Expertise auf vielen Gebieten zu haben, sich etwas erklären lassen zu müssen und in die Situation geworfen zu sein, den Mitmenschen das allerpersönlichste Erleben schlicht zu glauben. Wenn die moralische Eitelkeit eine Kränkung erfährt, ist es erlernbar, sie als gescheitert auszuhalten und die Gegebenheit anzuerkennen, trotz und wegen Unwissenheit Leid mitverursacht zu haben.

Ich schreibe hier kostenlos, ich kläre an vielen Stellen kostenlos auf. Meine Universität sind wunderbare Aktivist*innen, und nicht weniger die schmerzhaften zeitintensiven, bisher unbezahlten persönlichen Errors. Wenn ich lerne, überlebe ich. Das ist mein Zertifikat. Wer mich unterstützen will: beauftragt mich! 




Nachwort:

Wegen der sich zuspitzenden gesundheits- und globalpolitischen Entwicklungen habe ich mich dazu entschieden, in künftigen Texten, sollte Gendern erforderlich sein, für mich bis auf weiteres nur noch männliche Formen zu verwenden. Das ist eine persönliche, sicherheitsorientierte Entscheidung, einige ahnen sicherlich bereits die konkreten Gründe dafür. Für meine Texte verwende ich weiterhin, wenn ich alle Menschen meine, genderinklusive Sprache.

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