Blog-Layout

Queersein und es zum Thema machen

Elina Lukijanova • Nov 19, 2022

Leben in einem Umfeld der extremen Priorisierung

Ich komponiere. Das ist nicht neu. Ich liebe es, aber hasse es auch manchmal, wenn ich den Druck verspüre liefern zu wollen, sich gleichzeitig keine innere Zuversicht dazu einstellen will (was unterschiedliche Gründe haben kann). Manchmal ist die Idee nicht ausgereift genug, manchmal fehlt die Zeit, manchmal fehlt es mir generell etwas an Selbstwertgefühl. 

Aber vor allem liebe ich es. Ich liebe es auch innerhalb dieser Selbstzweckerfahrung, mich so oft schon für das Komponieren entschieden zu haben, dass ich deshalb, innerhalb meines momentanen  Status, an diesem Ort mit diesen Personen dasjenige machen darf, das ich so gerne tue und immer tun wollte. 

Es gibt nur leider auch dann Zwänge der Dringlichkeit: alles muss sofort sein: Entscheidungen müssen während einer Probe verworfen werden, in der Generalprobe zeigt plötzlich der Raum technische oder akustische Begrenzungen, die vorher nicht bekannt waren. Ein Gerät geht kaputt, und ich muss schnell, trotz meiner innerlichen Alarmiertheit, wohlwollend, kompromissbereit, zuversichtlich und dennoch mit verkörperter Souveränität kommunizieren, wie es stattdessen gehen soll, was mir als sensible Person nicht immer leicht fällt. 

Trotz aller Anliegen, der zeitlichen und innerlich-ästhetischen Dringlichkeiten, sprechen wir Menschen miteinander und übereinander.


Ich sage es nicht gerne, aber hier findet es nun seinen Platz:

Was passiert da eigentlich mit mir und vielen anderen, wenn diese Dringlichkeiten systemische Diskriminierung überschatten, und wir Betroffenen schlucken das, da bereits für die kompositorischen oder logistischen Fragen nicht genügend Zeit bleibt?

Es gibt diese hetero-cisnormative, binäre Welt, in der wir so leben und versuchen jeden Tag zu funktionieren, was an sich bereits in einer antihierarchischen Welt schwierig wäre.

Ich will im Zweifel mein eigenes Stück nicht torpedieren und diese wenige Zeit nicht darauf verwenden, auch noch über die unbequemen Diskriminierungsfragen zu sprechen.

Ich will nicht Nicht-Komponist*in sein. Ich will mehr queere Stücke schreiben. Was soll das sein, werden wieder viele Fragen, einige aus einer Hetero-Cis-Normativität heraus, weil das “Normale” sie nicht ausgrenzt, manche aus der aufrichtigen musikphilosophischen Frage, wie Musik überhaupt queer oder nicht-queer sein kann, also basierend auf der Hypothese, dass Musik als solche nicht von sich aus über eine Semantik verfügen kann, und diese sich nur unter Hinzunahme weiterer Wahrnehmungssysteme (Sprache, Bild) eröffnet.

Was ist aber, wenn durch diese Hintertür der letzteren Annahme genauso unbemerkt diskriminierende Strukturen einschleichen, nur weil man als Individuum nicht sensibilisiert ist, und diese daher stehen gelassen und fortgesetzt werden?

Ein (cis-männlicher) Komponist sagte mir einmal, als er einen Ausschnitt meiner gerade entstehenden Kammeroper sah, in dem die Harfenistin schreit, dass er die Ziellosigkeit meines Stücks nicht verstehe, da dort eine junge blonde Harfenistin schön Harfe spiele (was er kritisierte) und dann schreie. Ihm gehe es aber ausdrücklich um die Musik.

Er hat also in diesem Zusammenhang die Interpretin auf ihr geschlechtliches Stereotyp reduziert, aber gleichzeitig behauptet, dass es ihm um den Absolutheitsanspruch innerhalb der Musik gehe. Wie kann es einem um etwas nicht gehen, wenn es einen nur in den Momenten thematisiert wird, in denen es von der privilegierten Norm abweicht? Wird es nicht spätestens dann deutlich, was das eigentliche Problem dieses Denkfehlers ist? Es ist, gelinde gesagt, eine eloquentere Form des Ausdrucks, den ich oft hörte: stört mich ja nicht, was ihr Queers so alles macht, aber bitte nicht in der Öffentlichkeit.

Ich frage mich, warum diese sogenannte Öffentlichkeit so sehr geschont werden sollte; eine Gesellschaft fällt doch nicht auseinander, nur wenn man sie mit dem unhinterfragten Normativ konfrontiert und ist doch weiterhin multi-tasking-fähig um sich weiterhin auch auf andere Themenbereiche einzulassen. Gerade die Öffentlichkeit braucht mehr queere Opern, Serien, Gedichte, Kurzfilme, Dissertationen und Ensemblestücke, damit klar wird, dass das Unausgesprochene, Diskrete, Misgenderte, unter Zuschreibungen Leidende, kein Schmutz ist, der den diskriminierten Menschen anhaftet, sondern jener, den unsere Gesellschaft täglich reproduziert und an Individuen wie eine Maschine verübt.

Nun, wir alle sind keine Maschinen, wir vollziehen täglich viele kleine unbedachte Handlungen, schämen uns manchmal oder haben keine Zeit uns zu entschuldigen oder überhaupt uns unserer Handlungen bewusst zu werden.

Ich habe manchmal auch keine Zeit Dich darauf hinzuweisen, dass Du mich misgendert hast oder über Menschen so sprachst, dass ich in Deinem Konzept nicht vorkomme. Womöglich fiele ansonsten meine Komposition auseinander, oder weil ich etwas anderes zu sagen habe, für das ich meine eigene Verletztheit opfere. Das bedeutet nicht, dass Deine Handlung keine Wunde hinterlässt.

Wie mache ich also das Queersein künstlerisch zum Thema? Vermutlich so, wie es mir innerlich auch kommt, außerhalb der Stereotype und der äußeren Bewertungen, denen ich von Kindheit an ausgesetzt war.

Die Heteros und Cis-Menschen haben keine Pride-Parade, keinen CSD. Sie sind jeden Tag mit innerlichster, nicht der Versprachlichung nötigen Selbstverständlichkeit stolz auf sich, weil es die Akzeptanz der eigenen Neigung und Identität von Geburt an gab. In letzter Zeit erst lerne ich, meine Erwartung mit dem eigenen Queersein akzeptiert zu werden, an die Gesellschaft zurück zu spiegeln, ohne dabei in würdeloser Dankbarkeit zu vergehen.

Ich will nicht mehr fragen, ob ich mit unerwarteter Akzeptanz beschenkt werde, ich bin das Geschenk.

Und als das queere Geschenk an Dich, ein Individuum innerhalb einer Gesellschaft voller Zwänge, komponiere ich nun auch.



(Oben siehst Du mein neues Design der Programmhefte, im Zug unterwegs zu einer UA letzte Woche.)

hier entsteht noch eine Möglichkeit zum Kommentieren (ohne Anbindung an social media). Bitte nutze so lange die Möglichkeit des Kontaktformulars, wenn du deine Gedanken zum Blogpost teilen möchtest:

By El 13 Apr, 2024
Die Intersektionale.
By ellukijanov 11 Feb, 2024
Ich bin nicht deine Schwester
By El Lukijanov 14 Jan, 2024
Körper, Freiheit, Sein
By El Lukijanov 26 Nov, 2023
Für die Freund*innen der neueren und nicht verklingen wollenden Musik
By El Lukijanov 06 Mar, 2023
Es ist nicht neu für mich,
By El 24 Feb, 2023
24.02.2023
burning score: wie ich mal komponieren wollte, revised score, harp, opera
By El 23 Jan, 2023
Composing: on. Poems: on. Pre-linguistics: on.

El.

By El 31 Dec, 2022
El Lukijanov. Call me that.
By El 28 Dec, 2022
Крик [krʲˈik] - der Schrei
How she bowed to her brother - Uraufführung. Leitung Joss Reinicke, Stimme Michelle Sitko, Karlsruhe
By El Lukijanov 28 Dec, 2022
Foto: Uraufführung von How she bowed to her brother Michelle Sitko, Valentin Paschotka, Léa d'Antonio, Minoru Saito, Daria Vorontsova, Miguel Jiminez, Luise Schmidt Leitung: Joss Reinicke
More Posts
Share by: